Alles begann mit dieser versteinerten Muschel...
Einen unbekannten, unvertrauten Gegenstand mit geschlossenen Augen in die Hand zu nehmen und zu schauen, wie sich die Wahrnehmung organisiert - das war die Ausgangsidee der Arbeit am Tonfeld. Geboren wurde sie in den 70er Jahren vom damaligen Philologie-Stundenten Heinz Deuser. Es war die große Zeit der Selbstsucher mit neuartigen Lebensentwürfen für ein erfülltes Leben - sei es durch freien Sex, durch drugs & Rock'n roll - wild, experimentierend, ekstatisch, aber ohne jede verlässliche Orientierung. Die suchte Heinz Deuser. Und mit diesem kleinen Wahrnehmungsexperiment offenbarte sich ihm gleich die Riesenüberraschung, dass jede und jeder, der die Muschel in die Hand nahm, sofort an eine biographische Erfahrungen heran rührte. Für den einen, der draufgängerisch drauf war, wurde die Muschel zum Faustkeil. Ein anderer betastete die Muschel mit viel zarteren Bewegungen, und ihn erinnerte die Muschel an sein Kaninchen, das er früher mal sehr geliebt hatte.
Nicht der Gegenstand als solcher weckte diese Assoziationen, sondern die Art ihrer Hinwendung und ihrer Bewegung, wie sie mit dem Gegenstand Beziehung aufnahmen. Letztendlich war die Muschel immer nur Möglichkeit, sich selbst daran in bestimmten Regungen zu begegnen.
Heinz Deuser war von dieser Beobachtung wie vom Schlag getroffen. Seine Probanden hielten gewissermaßen Biographie in den Händen, und die drängt immer nach Entwicklung und Erfüllung. Das gab aber die harte Muschel nicht her. Also suchte er nach beweglicheren Materialien, biegbare Püppchen u.ä. Schließlich stieß er bei seiner Suche auf einen Schreiner, der zwei nicht abgeholte Fensterrahmen irgendwo liegen hatte. Schlagartig war ihm klar, dass das die Lösung sei: Eine Bodenplatte drunter nageln und mit Tonerde ausstreichen.
Und indem er nun damit experimentierte, wurde es auf einmal richtig spannend. Denn jetzt trafen seine Probanden auf etwas ganz wörtlich Unvorgefasstes. Alles, was ihnen dort an Struktur begegnete, war bereits Ausdruck bzw. Spur ihrer eigenen Bewegung oder ihres Affektes. Der Draufgänger stieß auf ganz andere Formen als der zart Besaitete. Und immer gab es einen Drang in der Bewegung, sich selbst daran irgendwie auszugleichen, sich zu erfüllen, zu klären, sich selbst begreiflich zu werden.
Noch hatte er keine Ahnung, was er da entdeckt hatte. Es war völliges Neuland. Niemand anderes auf der Welt, bis heute, hat das haptische Geschehen unter diesem Aspekt studiert.
Er bemerkte, dass dieser Ausgleichs- oder Klärungsprozess einer ganz bestimmten Grammatik folgte, entdeckte in den scheinbar wahllosen spontanen Bewegungen Systematiken, Sinnorientierungen, eine Grammatik. 40 Jahre lang hat es gedauert, bis er diese Methode zu einem Abschluss gebracht hatte. Festgehalten hat er seine Erkenntnisse in dem ausgezeichneten, wenn auch nicht ganz leicht zu lesenden Buch: Arbeit am Tonfeld: der haptische Weg zu uns selbst. Es ist sein Lebenswerk.