Loben wird gemeinhin immer als positiv und insbesondere in der Kindererziehung als wichtiger Erziehungsfaktor angesehen. In dieser Allgemeinheit ist das aber nicht richtig. Es gibt ein spontanes Lob, das unvermittelt von Herzen kommt, und ein pädagogisch-funktionales Lob, welches in bestimmten Situationen großen Schaden in der gesamten Motivationsstruktur anrichten kann. Es ist wichtig, diese beiden Arten von Lob unterscheiden zu können.
Lob ist dann gut, wenn das Kind – oder auch ein Erwachsener – von den Eltern (oder vom Chef) beauftragt wurde, etwas ganz Bestimmtes zu tun in einer vorgegebenen Weise. Letztlich geht es also um die Erledigung einer Auftragsarbeit. Wenn die Arbeit gut gemacht ist, drückt ein Lob Anerkennung aus und wird auch vom Ausführenden erwartet oder erhofft. An dieser Stelle ist Lob, selbst wenn es ein klein wenig überzogen ist, angebracht und motivationsfördernd.
Ganz anders sieht es aus mit Lob für Tätigkeiten, die ein Kind (oder ein Erwachsener) aus spontanem Antrieb macht und worin es/er sich selbst zum Ausdruck bringt – z.B. ein Bild malen, etwas bestimmtes vorführen, etwas mit Hingabe und Herzblut machen usw. Solche Tätigkeiten sind im Grunde nicht lobbar, weil es hier die Kategorien gut und schlecht nicht gibt. Hier zeigt sich die Person, selbstvergessen, wie sie ist. Ein Lob würde dieses Selbstvergessene und die ‚heilige Unschuld‘ darin zerstören, weil es eine Wertung hinein bringt. Dies ist gut, anderes wäre nicht so gut. Aber Selbstvergessenes agiert jenseits von gut und schlecht. Im versunkenen Tun geht es nur darin, sich selbst irgendwie ‚auszusprechen‘.
Beim Lob gibt es immer eine Hierarchie. Man käme selber nicht auf die Idee, den eigenen Chef zu loben: „Gut gemacht, Chef, weiter so, da wird aus Ihnen noch mal richtig was“. Es steht einem nicht zu.
Auf seelischer Ebene gibt es eine solche Hierarchie nicht. Da möchten Menschen mitmenschlich nur verstanden werden, nicht mehr und vor allem nicht weniger. Wenn Kinder in Tätigkeiten ihres Selbstausdrucks gelobt werden, führt das dazu, dass sie künftig ihr Verhalten mehr an den Elternerwartungen ausrichten und bestimmte Tätigkeiten nur aus Gründen billigen Lobes tun (siehe hierzu auch das ZEIT-Interview mit Jesper Juul). Das verleitet sie zur Künstlichkeit, weil sie dann etwas unbewusst berechend und absichtsvoll tun, und das Absichtsvolle ist niemals der eigene Selbstausdruck.
Unseren Selbstausdruck können wir nicht kennen. Denn alles Kennen findet im Bewusstsein statt, und das ist vergleichsweise langsam; unser Selbstausdruck liegt immer vor dem Bewusstseinsakt des (Er)Kennens. Er entsteht aus quasi aus dem Nichts, ursachefrei. Die Ur-Sache sind wir selbst. Und nur, wenn wir uns ursachefrei äußern können (äußern = das Innere nach außen kehren), können wir selbst-vertraut werden und uns selbst verständlich werden.
Ich will dazu ein Beispiel bringen aus eigener Erfahrung. Als ich als etwa 10Jähriger mittags aus der Schule kam, war meine Mutter meistens zuhause und hatte das Essen fertig auf dem Tisch. An zwei Tagen in der Woche kam sie aber erst eine Stunde später von der Arbeit. Sie hatte unser Essen zwar schon vorbereitet, so dass mein älterer Bruder und ich es nur noch warm machen mussten, aber danach gab es dann keine automatische Tellerentsorgung und keinen Abwasch durch unsere Mutter. Das mussten wir an diesen Tagen selbst machen. Da begann dann immer Streit, wer welche Arbeit zu tun hat. Abtrocknen war begehrter als abwaschen. Oft ließen wir das Geschirr sogar ungewaschen stehen oder machten nur das Allernötigste.
Einmal aber war ich allein zuhause, und irgendwie überkam mich die Idee, meine Mutter zu überraschen und ihr eine picobello geputzte Küche zu hinterlassen. Ich wollte, dass ihr vor Freude und Staunen die Augen herausfallen. Und so sah die Küche am Ende tatsächlich aus, so glänzend, dass man sie eigentlich nur noch mit Sonnenbrille betreten konnte.
Ich verzog mich auf mein Zimmer, um nur nicht zugegen zu sein, wenn sie kam. Als sie dann kam und die Küche sah, stieß sie einen spontanen Laut der Freude und Überraschung aus. Das hatte mich mich total gefreut – in meinem Zimmerchen. Dann kam sie zu mir, und lobte mich ausführlich dafür. Doppelt und dreifach. Das war ein Riesenfehler. Es war ein pädagogisches Lob, das konnte ich riechen. Die Botschaft war, ich bestärke Dich jetzt mal ohne Ende, damit Du das öfter tust.
Dieses ‚damit‘ war das reinste Gift. Ich fühlte mich wie gekauft – mit dem Ergebnis, dass ich eine solche Aktion nie wieder getan habe.
Hätte sie das viel beiläufiger noch später mal angemerkt: Du Scheißerchen, manchmal bist Du echt süß… oder so ähnlich, ich hätte meine größte Freude daran gehabt und ich hätte es bestimmt noch öfter getan. Aber nicht für so ein Lob. Die Freude oder Überraschung hätte beim nächsten mal schon ein bisschen den Charakter einer Erwartung bekommen, das Lob würde kleiner ausfallen, irgendwann wäre die Picobello-Küche Standard und eine Abweichung davon würde sogar dann getadelt. Geht gar nicht! Aber für eine tolle Beziehung und ihre schlichte Mitfreude hätte ich selbst irgendwann Freude an dieser sinnvollen Tätigkeit gefunden.
Im Reich des Spontanen hat Lob einfach nichts zu suchen (sei denn spontanes Lob, frei von allem Absichtsvollen). Es würde den natürlichen mitmenschlichen Beziehungsfluss rüde unterbrechen.
Motivation und Eigeninitiative erwächst aus ganz anderer Quelle. Der Mensch ist immer sein eigener Zweck (wie jede Blume letztendlich auch), und das zentrale Anliegen ist die Entwicklung der Eigenheit und sich darin verstehen und behaupten zu wollen. So braucht es vor allem widerständige Erfahrung, an der das Kind (innerlich) wachsen kann, etwas Gelingendes, was gegen Widerstände errungen wurde. Und darin muss das Kind gesehen werden, muss das Errungene bezeugt werden, aber weniger das äußere Errungene, sondern das innerlich Errungene. Wird auf das äußere Ergebnis geschaut und dieses gelobt, verflacht das Kind mit der Zeit. Es versucht dann vermehrt, gefällige Ergebnisse hervorzubringen, derweil es in der Entwicklung seiner Eigenheit leer ausgeht.
Am Tonfeld sind solche Kinder eine große Herausforderung. Tendenziell reagieren sie skeptisch, wenn nicht sogar allergisch auf Angebote, Ermunterungen, Einladungen, etwas bestimmtes zu tun. Hier lässt sich am besten mit Überraschungen arbeiten, mit Reaktionen, die die Kinder so nicht erwarten, vielleicht sogar einem gewissen Maß an Schroffheit (gepaart mit Humor), so dass die Gespenster der subtilen Vereinnahmung verschwinden können und trotzdem Beziehung und Resonanz entstehen kann. Und dann gewinnen diese Kinder ganz allmählich wieder Vertrauen in ihre Eigeninitiative, Zugang zu ihrer Lust und Motivation, ein Gefühl für positive, erfüllte Eigenheit, die sich nicht aus der Erwehrnis gegen andere definiert.