Nur wenigen Menschen ist bewusst, welch zentrale Rolle die Atmung für die seelische Entwicklung spielt. Hätte ich selbst früher auch nie gedacht. Bei der Arbeit am Tonfeld aber zeigt sich das regelmäßig und vollkommen zuverlässig: Es ist nahezu unmöglich, wirklich bei sich anzukommen, wenn die Atmung nicht stimmt. Der vollständige Bezug zum Leib lässt sich in der Tiefe nicht herstellen, wenn die Atmung zu flach ist. Wer nur im Brustkorb atmet, ist nicht verbunden mit seiner Tiefe, seinem Zentrum. In meiner Praxis habe ich noch keine einzige Ausnahme davon beobachten können - und das gilt für Kinder genauso wie für Erwachsene.
Viele Therapien kratzen mitunter nur an der Oberfläche, weil die Atmung nicht (mit)beachtet wird (auch wenn die Therapien vom Ansatz her gut und hilfreich sind). Es ist einfach eine phänomenologische Tatsache, dass 'Brustatmer' zu wenig an das tiefe Erleben angeschlossen sind. In ihnen ‚klingt‘ zu wenig. Sie werden am Leben nicht richtig satt. Man könnte auch sagen: sie bewohnen zu wenig ihren Leib. Die Folge ist, dass das Leben tendenziell als anstrengend, manchmal erschöpfend empfunden wird und die Burn-out-Gefahr deutlich steigt. Vielfach geht die zu hohe Atmung auch mit Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich einher, in selteneren Fällen auch mit gehäuften Kopfschmerzen. Und fast immer erscheinen Brustatmer 'verkopft'.
Die Bauchatmung ist die natürlich Form der Atmung
Dabei ist die Brustkorb-Atmung eine ganz unnatürliche Atmung, denn der Brustkorb muss sich ja ständig gegen die Schwerkraft heben - viel zu viel Energieaufwand verglichen mit der Bauchatmung. Bei letzterer kann der Atem einfach heruntersacken. Es weitet sich dann der Bauch- und Beckenraum, und zum Ausatmen entspannt sich dieser Bereich einfach wieder.
Wer sich die falsche, 'inverse' Atmung (der Bauch wird beim Einatmen flacher) angewöhnt hat, muss die umgekehrte Koordinaten bewusst erlernen. Manchen fällt das im ersten Moment schwer, gelingt dann aber, richtig begleitet, vergleichsweise schnell. Im nachfolgenden Video zeige ich Dir, wie Du die grundgesunde Atmung üben kannst. Mache sie zu Deiner Standardatmung.
Das Atmen ist deshalb von dermaßen zentraler Bedeutung, weil sie die genaue Zwischenstellung zwischen bewusst und unbewusst einnimmt. Wissenschaftlicher ausgedrückt heißt das: Sie wird gleichermaßen von Stammhirnimpulsen wie auch von Großhirnimpulsen angesteuert. In ihr berühren sich quasi Bewusstsein und Unterbewusstsein, Fühlen und Denken, Spontaneität und Kontrolle. Die Atmung ist der Dreh- und Angelpunkt zwischen dem Selbst und dem Ich.
Leben mit angehaltenem Atem
Ans Tonfeld kommen öfter Klienten, deren Atem nicht hörbar ist, selbst sie kräftig 'schuften' und dementsprechend schnaufen müssten. Sie halten ihren Atem zurück, und es hilft in aller Regel auch nur wenig, wenn ich sei direkt darauf anspreche. Zwei Atemzüge fließen dann etwas freier. Danach verstummt der Atem wieder. Sie empfinden es als unangenehm oder aufdringlich, sich selbst atmen zu hören. Das ist schon eine steile Auffassung - schließlich muss jeder Mensch atmen. Aber ganz so seltsam ist es dann doch nicht, denn der Atem hat viel mit Selbstausdruck zu tun, mit ‚Sich zeigen‘. Wer flach atmet, der lebt tatsächlich ‚mit angehaltenem Atem‘ (bzw. mit an sich haltendem Atem), mit Handbremse. Ein pralles, erfülltes Lebensgefühl kann sich dann nicht einstellen.
Der frei fließende, ruhige, tiefe Atem bindet den Leib zu einer Einheit. Das ist einfach so. Er verbindet darüber hinaus auch mit anderen Menschen. Zurückgehaltener Atem führt so gut wie immer auch zu zurückgehaltener sozialer Kommunikation. Und wer so etwas wie 'seine Mitte' finden will (was immer das heißt, dazu an anderer Stelle mehr), der muss alle Teile verbunden fühlen. Nicht von ungefähr schenken alle Meditationstechniken dem Atem besondere Beachtung.
Richtiges Atmen will ggf. geübt sein
Meine Empfehlung. Kontrolliere, ob Du standarmäßig normal atmest. Wenn es Dir schwer fällt, wenn Du Dich konzentrieren musst für diese natürliche Atmung, dann übe sie ein, wie im Video gezeigt - mindestens zwei Wochen lang, täglich 2 x 5 Minuten. 10 min Zeit am Tag kann sich jeder freischaufeln. Dies verändert etwas. Achte auch darauf, dass Deine Kinder richtig atmen (falls Du welche hast). So kannst Du Dir eine Menge Erziehungsstress und z.T. sogar Therapien sparen.
Ich freue mich sehr, wenn Du das Video bzw. diese Seite teilst und weiter empfiehlst.