Der berühmte Arzt und Begründer der modernen Medizin, Rudolph Virchow, hatte die Seele irgendwo im Organismus gesucht. Viel hat er herumoperiert, sie aber nicht gefunden (vermutlich wusste er auch nicht so genau, wie sie aussehen sollte). Die Frage freilich bleibt: Wo eigentlich ist der Sitz der Seele? Im Bauch, im Herzen, im Hirn? Oder ganz anderswo? Darüber zu spekulieren ist müßig. Eher wäre zu fragen, worin sich das Seelische am stärksten zeigt und ausdrückt. Und da spielen die Hände in der ersten Liga. Denn die Hände sind nicht nur ein Tastinstrument, sondern ein Beziehungsorgan. DAS Beziehungsorgan! Und sie sind das Organ, mit dem wir uns als Mensch am unmittelbarsten 'äußern', also unser Inneres nach außen tragen in die reale Welt.
Der Mensch – ein homo hapticus
Evolutionsbiologisch heißt der Mensch homo sapiens (in der ganz exakten Sprechweise sogar gleich doppelt, also homo sapiens sapiens. Sonst weiß man es vielleicht nicht so genau). Schauen wir uns den Zustand an, in den diese Gattung unseren Planeten gebracht hat, dann klingt diese Gattungsbezeichung so ähnlich wie die Steigerungsform: Gescheit, gescheiter, gescheitert.
Aber das denken und weise sein ist gar nicht das, was dem Menschen am meisten in die Wiege gelegt ist. In Wirklichkeit ist der Mensch ein Homo hapticus, ein Handelnder, ein Gestaltender. Das reflexive Bewusstsein, auf das wir als Mensch so stolz sind, ist nur ein Nebenprodukt unserer Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit. Ohne die Freistellung unserer Hände und ihre Umwandlung zu echten Greifwerkzeugen (d.h. den Daumen in Opposition zu den Fingern gestellt) hätten wir kein Bewusstsein.
Zwei Beobachtungen
Das ist weit mehr als nur eine kühne Behauptung, denn der Zusammenhang lässt sich leicht nachvollziehen. Da ist als erstes die Beobachtung, dass Menschen die einzigen Lebewesen sind, die Hände als Greifwerkzeuge haben, und auch die einzigen, die ein reflexives Bewusstsein haben.
Zum anderen kann jeder an sich selbst feststellen, dass die Arbeit mit den Händen uns in aller Regel viel mehr erfüllt und glücklicher macht als reine Kopfarbeit. Gut, Toilettenputzen vielleicht nicht, aber gestalterische Arbeit mit den Händen. Die mag mitunter auch anstrengend sein, aber in solchem Zusammenhang bereitet sogar die Anstrengung Freude. Fast immer hinterlässt sie ein wohliges Gefühl von 'etwas geschafft zu haben', vielleicht auch, sich gestärkt zu haben oder Geschick erlangt zu haben. Bei geistiger Arbeit erfreuen wir uns an Einsichten und Erkenntnisse, die ebenfalls tief beglücken können. Nur sind sie deutlich leibferner und weniger unmittelbar (wie drückte es nicht einst Heinz Erhardt aus:
Von Dürers Meisterhand ein Stich
betrachtet wirkt mehr äußerlich.
Hingegen dringt, wenn sie verzeih'n,
ein Mückenstich weit tiefer ein.
Man sieht daraus, dass ein Insekt
noch mehr kann als der Intellekt. )
Der haptische Sinn als Basissinn
Letztendlich ist der haptische Sinn, also der Hand-Sinn, der Basissinn schlechthin. An keiner anderen Stelle des Körpers sind die Sensorzellen so dicht versammelt wie in den Händen (Platz 2 belegen die Lippen). Das macht, dass wir uns ganz und gar in unseren Händen versammeln, also selbstvergessen in unserem Tun und Berühren aufgehen können. Wir können gewissermaßen 'ganz Hand' werden.
Alle Berührung vollziehen wir vornehmlich mit den Händen, und Berührung ist für unsere Selbstorganisation letztlich sogar lebenswichtig. Säuglinge, die nur sehr, sehr wenig Berührung erfahren, sterben sogar (an sog. Hospitalismus). Und Erwachsene oder Paare, die sich oft berühren, leben glücklicher und verbundener als jene, die sich nur sehr selten berühren. Es fehlt dann ein Stück Seins-Vergewisserung. Und das kann einsam machen.
Vergleichen wir uns mit Tieren, dann erkennen wir direkt den Unterschied. Schwer vorstellbar, dass ein Tier 'ganz Pfote' sei. Bei uns aber organisiert sich vor allem auch all das Intuitive und ein Großteil unseres Gefühlslebens, d.h. die ganze Bedeutungsgebung, wie wir Dinge auffassen, wie wir uns als wirkmächtig erfahren usw. über die Hände.
Die Seele berühren statt psychologisieren
Nun ist mit der Seele mehr gemeint als nur unser Gefühlsleben, und mehr auch als unsere Psyche. Mit Seele meinen wir unsere ganze Art zu sein. Und dieses Sein drückt sich aus in der Wahrnehmung und der Bewegung, am prägnantesten also in unserem Handeln.
Vor diesem Hintergrund ist es geradezu erstaunlich, dass die Psychologie bis heute noch nicht die Bedeutung der Hände als Ausdrucks- und(Selbst)Gestaltungsorgan der Seele erkannt hat. Die Arbeit am Tonfeld leistet da echte Pionierarbeit. Der Grund für diesen blinden Fleck liegt vermutlich darin, dass sich die Sprache der Hände nicht in gleicher Weise aufschreiben, objektivieren und diskutieren lässt wie die verbale Sprache. Aber im seelischen Ausdruck ist sie ungleich klarer.
Das Tonfeld ist eine Art Klärungsapparat für die Sprache der Hände. In der Psychologie leiht der Therapeut dem Klienten ein Ohr. Der Klient hat dann gewissermaßen 3 Stück davon und kann sich mit diesem dritten Ohr - durch den Therapeuten hindurch - selber noch mal anders hören und verstehen. Das Tonfeld in Verbindung mit dem Begleiter ist für die Sprache der Hände dasselbe wie jenes dritte Ohr des Therapeuten, bloß dass wir uns nun ungefiltert über den kontrollierenden Verstand ausdrücken, ganz unmittelbar. In den Händen erscheinen wir uns ein zweites mal. Nur aus diesem Grund können nur deshalb Abstand gewinnen zu uns selbst bzw. und sind deshalb - anders als jedes Tier - zur Selbsterkenntnis fähig.
Unsere Art, Dinge zu begreifen, formt sich im Greifen
Viele, die zum ersten mal von der Arbeit am Tonfeld hören, können sich kaum vorstellen, wie so ein bisschen Herumgeknete im Ton eine seelische Auswirkung haben soll. Tatsächlich aber müsste eigentlich genau anders herum gefragt werden, warum Gesprächen so viel seelisches Veränderungspotenzial zugestanden wird, obwohl Wort doch viel leibferner sind als alles Tun und Handeln, und der gesamte Bereich der Bewegung und des Eigenimpulses ausgespart bleibt.
Am Tonfeld werden Beziehungserfahrungen verhandelt, also das ganze Feld zwischen Wahrnehmung und Bewegung, zwischen Rezeption und Aktion. In dem Maße, wie wir hier mitmenschlich anders angesprochen werden, als es uns im Leben widerfahren ist, überschreiben wir alte Prägungen und Körpererfahrungen. Das Körpergedächtnis organisiert sich um und damit unsere ganze Art, sich Dingen hinzuwenden, in Beziehung zu gehen, sich zu öffnen, zu zeigen usw. Wandelt sich der Ausdruck in den Händen, so wandelt sich der ganze Mensch. Darin liegt das wandelnde Moment in der Arbeit am Tonfeld.