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oder: Über Heldenreisen

Wie aktuell die Jugend auf die Straße geht gegen den Klimawandel, das hat insbesondere auch ganz viel mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Wie die Arbeit am Tonfeld auch - nur anders. Klar, wer nur einen Hammer zur Verfügung hat, für den wird jedes Problem zum Nagel. Für mich ist alles Tonfeld - also auch die Klima-Debatte, selbst wenn das Herumkneten im Ton keine so ruinösen Mengen an Reibungswärme erzeugt, dass das Klima auf keinen grünen Zweig mehr kommt. 

Persönlichkeitsentwicklung zum Mitverfolgen - Grete Thunberg

Nein, es geht um etwas anderes: Um Persönlichkeitsentwicklung, um Mensch-werden. Große Krisen bringen fast immer auch große Persönlichkeiten hervor. In guten Zeiten ist das erstaunlicherweise schwieriger (aber natürlich nicht unmöglich, zumal es Krisen- oder persönliche Bewährungszeiten immer gibt).

Bei der Klima-Wandel-Diskussion denkt jeder sofort an die Fridays for future-Bewegung. Sie hat ja tatsächlich - und verdient daher diesen Namen - viel in Bewegung gebracht, mindestens mal im kollektiven Bewusstsein. Und natürlich auch Widerstände hervorgebracht, als würden diese Kinder unser gutes Klima schlecht reden (jetzt haben wir den Salat, den verdorrten). Aber der Widerstand ist wichtig. Denn ohne diesen könnte sich die Bewegung kaum konturieren und schleifen. Sie hat inzwischen den Charakter einer Art kollektiven Heldenreise angenommen, ohne das Wort 'Held' jetzt zu hoch hängen zu wollen. 

Heldenreisen... 

... wie sie in klassischen Sagen oder in Romanen erzählt werden, sind immer Wandlungsreisen, d.h. immer Versinnbildlichungen unserer Persönlichkeitsentwicklung. Sie beginnen oft damit, dass der spätere Held (oder die Heldin; ich bleibe mal bei Held, um es nicht zu kompliziert zu machen) irgendwie im Leben herumschlabbert. Er könnte alles mögliche tun, könnte es aber genauso gut bleiben lassen - es macht keinen wesentlichen Unterschied. Das führt dann schon mal zu der Klage: Mama, müssen wir heute schon schon wieder tun, was wir wollen? 

Als Mensch sind wir aufgefordert, uns als Person hervorzubringen. Jeder strebt letztendlich nach Unverwechselbarkeit und Individualität. Wie dichtet nicht schon Wilhelm Busch: 

Sag Atome, sage Stäubchen,
sind sie auch unendlich klein
haben sie doch ihre Leibchen
und die Neigung, da zu sein.

Haben sie auch keine Köpfchen,
sind sie doch voll Eigensinn.
Trotzig spricht das Zwerggeschöpfchen:
Ich will sein, so wie ich bin.

Um uns aber in unserer Kraft und Eigenheit auch erleben zu können, braucht es Widerstände - nicht von Anbeginn an, aber irgendwann. Erst wenn wir Dinge erringen und dem Schicksal abtrotzen müssen, gewinnen sie ihren Wert. Seelischen Wert. Seelisches Wachstum vollzieht sich vor allem an widerständiger Erfahrung.

Dann irgendwann ereilt den Helden, der von seinem Schicksal noch nichts weiß, ein Ruf. Er muss die Welt retten, mindestens, oder Drachen töten, etwas, das nur er allein machen kann.

Am Tonfeld ist dieser 'Ruf' die erste spontane Bewegung, die quasi ursachelos hervorquillt. Was da ruft, ist ein Lebensbedürfnis, ein Bedürfnis nach Wandlung, Aufbruch, Transformation. 

Echte Persönlichkeitsentwicklung geschieht fast immer an der Schwelle von Leben und Tod

Sich aufzumachen, erscheint anfangs oftmals mühsam, weil es Anstrengung verlangt, Verausgabung, weil es Gefahr bedeutet. Und dann finden wir anfangs ganz viele 'objektive' Gründe, warum wir dem Ruf nicht folgen sollten oder müssen. Die Seele strampelt, weil sie den Reifesprung nicht so ohne weiteres wagt. Denn der Einsatz, der im Fall echter Reifungsprozesse gespielt werden muss, ist im Grunde die Bereitschaft zu sterben - zumindest einen kleinen Tod. Jede Persönlichkeitsentwicklung, die diesen Namen Wert ist, vollzieht sich immer an der gefühlten Schwelle von Leben und Tod. Anders werden wir nicht wesentlich.

Demostrierende Jugendliche bei  Friydays for future

Sterben heißt, wir müssen etwas in uns zurücklassen, ablösen. Die alte Person stirbt. Klingt viel dramatischer, als es in Wirklichkeit meistens ist. Wie viele kleine Tode sind wir nicht schon gestorben, immer wieder. 

Drachen töten

Bei Greta war dieser Ruf ein Bericht über den Klimawandel, der sie ganz offensichtlich bis ins Mark getroffen hat. Und sie hat dann mit ihrem eigenwilligen und unbeirrbaren Schulstreik wirklich etwas riskiert. In klassischen Heldengeschichten ist es ein Drachen, sprich eine innere Angst, die es zu besiegen gilt. Genau das aber ruft die besten uns zur Verfügung stehenden Kräfte auf. Wir müssen Klippen umschiffen, Gefahren meistern, unbekannte Wege zurücklegen, um am Ende den Drachen zu töten. Solche Heldenreisen bringen uns auf den Punkt - und dann sind wir gewandelt - irgendwie. 

Insofern hat der Widerstand, der Greta und die gesamte Fridays for future Bewegung begegnet, sein Gutes. Was müssen sie sich nicht alles anhören: Schulschwänzer, illegal, aufmüpfige Gören usw. Aber ohne diesen Gegenwind könnte sich nichts formen. Zu viel Umarmung erdrückt. Oder wie sagte einst Adenauer: Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann nimmt man sie auch ernst. 

Jede Arbeit am Tonfeld ist eine kleine Heldenreise - im Labormaßstab. Was objektiv geleistet wird, ist nicht so wichtig. Wichtig ist der seelische Durchgang. Sich zeigen müssen (und sei es nur sich selbst), neue Arten der Beziehungsaufnahme riskieren, die eigentlich unter innerer Hemmung stehen, Ängste besiegen, und seien sie noch so unscheinbar. Wandel ist oft wie Zwiebel schälen - Schicht für Schicht. 

Die Kinder, die für Fridays for future auf die Straße gehen und wirklich dabei etwas riskieren, bilden sich (ganz wörtlich) auf der Straße weit mehr als auf der Schulbank. Denn hier stellt tatsächlich das Leben die Fragen, nicht ein Lehrer. 

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